“Wir sind die Blogger” sagt Isa, als wir im kleinen Aparthotel auf Helgoland einchecken.
Isa ist unsere Mutti, zumindest für die nächsten paar Tage, oder zumindest tun wir so. Sie hat nämlich seit einer ganzen Weile Mails mit lauter wichtigen Infos hin und her geschickt und uns alle bei Laune gehalten animiert, mitzukommen.
Ich brauchte keine lange Überredung, ich mach ja jeden Scheiß mit. Helgoland also, auch schön. Ich war noch nie da und weiß bis zuletzt auch eher nichts über diese Insel, außer vielleicht, dass da dieser rote Felsen ist und irgendwelche Schiffe hinfahren. Ich fahre viel U-Bahn, da sieht man so Plakate.
Als wir nach einer endlos scheinenden Hinfahrt mit Bahn, Bus und Schiff auf der Insel ankommen, sagt Isa dem grauen Wetter zum Trotz “Ab morgen ist schönes Wetter” – womit sie gleichzeitig Recht und Unrecht haben wird. Denn es wird in der Tat schön, aber lange vor “morgen”.
Nach einem Powernap im winzigen Hotelzimmer mit 50er-Jahre-Charme finden wir “zwischen Fischbrötchen und Fünf-Gänge-Menü” ein Bistro, das uns mit dem Notwendigen an Energie versorgt, die wir für die Inselumrundung gleich brauchen. Was wir sonst noch brauchen, finden wir in den vielen Shops, die es auf der Insel zu Hauf gibt: Pröbchen. Danke an A. für diesen großartigen Begriff. Zum Glück habe ich meine Tasche dabei, dort kommt alles rein, dessen wir habhaft werden können. Und irgendwann kommt der Augenblick, an dem wir oben auf dem zerbombten Felsen stehen, in die Weite blicken und das sich wie ein Mantra wiederholende “Schlucktied?” mit “Jo!” beantworten. Und dann lüfte ich mein Schürzchen öffne ich die Wundertasche und befördere allerlei hochprozentig Wärmendes zutage. Es ist windig-kalt da oben auf dem Oberland zwischen roten Felsen und Bombenkratern, zwischen Schafen und Trottellummen. Trotz der Sonne.
Nach einer langen Inselumrundung mit nem bisschen Panik am Ende (Wo sind die anderen? Wo müssen wir gleich lang?) finden wir im Café Aquarium alle wieder aufeinander, das überraschenderweise und zum Glück nur zehn Schritte vom Hotel ist. Wir wagen uns an Helgolands Nationalgetränk dem Eiergrog heran, der erst nach den zwei mitgelieferten Zuckerstäbchen wirklich gut schmeckt. Vollmundig und reichhaltig höhö. Zwischendurch knabbern wir an Nachos und Ziegenkäse, aber so richtig viel ist das nicht, so dass wir am Ende des Abends recht angeduhnt ins Bett fallen. Und zumindest ich habe am nächsten Tag so meine Schwierigkeiten, aufzustehen, schaffe es dennoch fast pünktlich in den Frühstücksraum, um eine Tasse Kaffee zu trinken und eine kleine Menge Rührei zu kosten.
Die Sonne scheint, die Aussicht ist grandios (ich habe einen Balkon und Seeblick!), auf dem Nachbarbalkon steht G. und macht die gleichen Bilder wie ich. Wir nehmen um 11 Uhr das Bötchen (hieß das Börteboot?) rüber zur Düne, Robbengucken ist heute angesagt. Spannend. Wir stapfen über den feinen Sand, biegen um die Ecke, und da liegen sie plötzlich: an die zweihundert Robben in diversen Farben von beige über braun bis hin zu schwarz, einfarbig oder gepunktet (ein Dalmatiner!), und immer flauschig, oder zumindest sieht das für uns so aus, und wir möchten zu ihnen gehen und sie streicheln, aber das Schild am Anfang des Weges machte unmissverständlich klar “30 Meter Abstand halten”. Also bleiben wir auf Abstand und machen Fotos und Videos, freuen uns wie die Kinder, dass wir sowas Tolles erleben dürfen, und genießen jeden Schritt im weichen Sand und den scharfen Wind, der uns droht die Mützen vom Kopf zu reißen, und die Sonne und den bevorstehenden Sonnenbrand, weil wir uns alle nicht eingecremt haben. Die Kinder by the way sind nicht halb so begeistert wie wir, auch wenn wir vorher gedacht hätten, wir würden sie festbinden müssen, damit sie nicht zu nah an die Robben gehen. Aber nun ja, so Robben tun ja nix, man kann nicht mit ihnen spielen, man kann sie mit nichts bewerfen, man hört sie ja nicht mal. Also kraxelt man lieber auf die Dünen oder steckt sich einen Keks in den Mund, und einer schläft sogar auf dem Rücken von Papa, weil’s bisher alles doch recht anstrengend war.
Irgendwann trennt sich die Gruppe, weil einige einen forscheren Schritt drauf haben, ich bleibe mit S. zurück und finde Muscheln im Sand die aussehen wie Ohren. Wir haben den Schalk im Nacken und stellen uns schon vor, was für Lacher wir nachher ernten werden, wenn wir den anderen unsere abgefallenen Ohren zeigen. Wir schießen lustige Fotos von allem und jedem, setzen uns im Schneidersitz in den Sand und machen “Ommmm”, weil’s gerade so schön ist. Als wir uns später mit dem Rest der Truppe im Dünenrestaurant treffen, gibt’s schon den ersten Kakao. Mit Schuss natürlich, es ist ja immer noch verdammt kalt hier. Und was für’n Schuss. Ich werde gleich übermütig und schließe mich der Gruppe derer an, die seit gestern nur noch davon reden, ins Wasser zu gehen. Flugs werden Botten und Thermosocken ausgezogen, der Wind peitscht bereits an den dampfenden Füßen, aber wir gehen ins Wasser, mancher mehr, mancher weniger. Ich wäre gern bis zu den Knien reingegangen, aber nach kaum einer Sekunde brennt das eisigkalte Wasser so dermaßen, dass an ein Weitergehen nicht zu denken ist. Meine Füße sind sofort knallrot und ich brauche lange, um sie wieder mit Leben zu füllen. Aber dafür scheint die Sonne reichlich, also bleibe ich solange barfuß, wie wir auf der Terasse des Dünenrestaurants in der Sonne sitzen und unseren heißen Kakao trinken. Die Stimmung ist gelöst, mittlerweile wissen wir, mit welchen Reaktionen wir von wem zu rechnen haben. Die irgendwann eintrudelnden Teenager sind peinlich berührt, aber das kratzt uns wenig.
Abends gibt’s wieder Eiergrog an unserem Stammtisch im Café Aquarium, wir twittern kichernd um die Wette und lachen über die 80er-Jahre-Musik, die aus den Boxen kommt. Als die Bedienung uns rausschmeißt, beschließen wir, noch eine Runde zu drehen in der mittlerweile nebligen Vollmondnacht. Wir laufen ewig und drei Tage (ein Weg, der mir am nächsten Tag nicht mehr halb so lang vorkommt), bleiben an diversen Ecken stehen, um den Vorrat an Pröbchen aufzubrauchen, und beschließen irgendwann, noch tanzen zu gehen im Café Krebs, angeblich Deutschlands ältester Disco. Am nächsten Tag erfahren wir, dass wir von den vorhin erwähnten Teenagern dort gesehen wurden. Ich weiß nicht mehr, wie spät es war, als ich schlafen ging. Entsprechend difizil gestaltet sich das Aufstehen am Sonntag, aber wir müssen um halb elf die Zimmer geräumt haben, was eine hektische Dusch- und Packaktion zur Folge hat.
Die Sonne ist kurz weg, kommt aber gleich wieder, ich gehe mit meiner Gang vom Abend zuvor Knieperbrötchen in einer der Hummerbuden essen – und später auf einen letzten Spaziergang über die Insel. Wir laufen gefühlte zwanzig Kilometer und steigen endlose Treppen vom Oberland runter an den Strand, gehen kurz shoppen (hey, zollfrei!) und sind um 15 Uhr am Schiff. Mit leichten Blessuren und wehen Gliedmaßen, verkatert und sonnengebrannt, aber glücklich und immer noch zu lustigen Späßen aufgelegt trinken wir auf dem Schiff das erste Bierchen wieder (ist schon nach vier?), verkleiden uns als Geiselnehmer und Geisel und fotografieren alles und jeden, damit wir ja nicht vergessen. Abends zurück in Hamburg macht sich Melancholie breit, der Alltag hat uns wieder, aber wir schwören uns, die Klassenfahrt nächstes Jahr unbedingt zu wiederholen.
Als ich bei dieser Klassenfahrt zusagte, kannte ich sehr wenige der Mitreisenden. Dass viele derjenigen, die ich kannte, gar nicht erst mitkamen, war überraschend und schade. Dafür entpuppten sich die anderen als wahre Schätze, die ich nicht missen möchte. Es hat unglaublich viel Spaß gemacht, wegen der tollen Sonne, wegen der tollen Insel, wegen der tollen Leute. Und manchmal fehlen einem die Worte. Dann kann man nur noch sagen “Voll schön…”
Nachtrag:
Helgoländer Eiergrog
4 cl Rum (braun)
2 cl Eierlikör
2 Eigelb
2 Eiweiß
10 g Zucker
Die beiden Eier und den Zucker in einem Wasserbad schaumig schlagen. Die Mischung in ein vorgewärmtes Grogglas geben. Rum und Eierlikör separat erhitzen und zu dem Eierschaum in das Glas gießen. Den fertigen Drink sofort servieren.
[gefunden bei Chefkoch]
Und ich glaub, ich muss dieses Buch lesen ;-)
[Schauen Sie auch bei Isa, Maximilian (gleich zweimal), Serotonic, Svensonsan und nun auch endlich Adelhaid nach, da gibt’s noch andere Blickweisen]
Jamie
Achso? Ich hatte irgendwo gelesen, da gehört auf keinen Fall Wasser rein, also hab ich von zwei plausibel klingenden Rezepten dies hier genommen. Aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren ;-)
Ulrike
Fehler! In den Original Helgoländer Eiergrog gehört auf keinen Fall Eierlikör!!!