Blutrot leuchtet der Rotwein im Schein der fast abgebrannten Kerze. Du bist wunderschön, wie du da liegst auf dem Bett, nackt und verletzlich, die Haut glänzend im Kerzenlicht. Wie gern hätte ich mir das Heben und Senken deiner Brust noch länger angeschaut, deine flackernden Augenlider, die störrische Haarsträhne, die deine Stirn bedeckt — aber du willst es nicht. Du hast beschlossen, dass es heute das letzte Mal ist. Dein Wunsch ist mir Befehl, ich werde nicht aufbegehren. Ich muss Abschied nehmen.
Erinnerst du dich an unser erstes Treffen? Ich, neu in der Stadt, vom unerwarteten Sommerguss überrascht und bereits völlig durchnässt, hatte Unterschlupf gesucht unter der Markise deines Geschäftes. Du botest mir an, zusammen einen Tee zu trinken, während mein Kleid trocknete. Das Schild an der Tür hattest du schnell umgedreht. “Geschlossen”. Mir war das natürlich aufgefallen, auch wenn ich mir nichts anmerken ließ. Innerlich lächelte ich. Das war der Anfang.
Ich war sofort verliebt. In dein spitzbübisches Lächeln, in deinen Laden, der mich an meine Kindheit erinnerte, in deine Bücher, dieses Tor in eine andere Welt, in dich, den Schlüssel dazu. Und zu meinem Herzen. Du warst anders. Anders als die Jungs, die sich für mich interessierten, die sich — und mir — immer was beweisen mussten. Du musstest längst niemandem mehr etwas beweisen, du warst dir selbst genug. Und mir.
Die Decke ist dir von den Schultern gerutscht. Ich widerstehe dem Drang, sie zurückzuschieben. Ich forme aus dem Wachs Figuren, die ich der Flamme preisgebe, bis ich sie nicht mehr halten kann und mir fast die Finger verbrenne. Ich habe nie verstanden, warum Insekten immer in die Flamme fliegen. Aber vielleicht… bin ich selbst eins.
Du warst mein Abenteuerroman, meine Biographie, mein Gedichtband. Ich verschlang dich von vorn bis hinten und breitete meine Seiten für dich aus — damit du zwischen den Zeilen liest. Zusammen waren wir die Buchdeckel, zwischen denen sich das Leben abspielt. Die Liebe.
Und dann, eines Tages, der Dolch. Mitten hinein. Du erzähltest mir von deiner Frau. Wie sie, todkrank, deine Hilfe brauchte, obwohl eure Ehe schon seit Jahren nur noch auf dem Papier besteht, und wie sie dich damit erpresste, den Laden — dein Ein und Alles — zu verkaufen. Du, dem mein Herz, mein Leben und meine Liebe gehörten, gehörtest einer anderen. Einer, die deine Fäden drohte abzuschneiden. Schnipp, vorbei.
Ich nehme noch einen Schluck aus dem Glas. Reich und samtig gleitet der Wein meine Kehle hinunter. Ein wunderbarer Jahrgang. Die letzte Flasche. Ich werde ihn vermissen. Schade, dass der Geschmack ein wenig verfälscht ist. Aber das musste leider sein.
“Tut mir leid” hast du gesagt. Als wäre damit alles Böse aus der Welt geschaffen, alles wieder auf Anfang gesetzt, die Wunden nie dagewesen. Wie kleine Kinder, die sich hinter ihren Händen verstecken und glauben, man sähe sie nicht mehr. Aber die Wunde, die du mir zufügtest, war zu groß. So groß wie die Welt, so groß wie deine Bücher. Sie wächst nie wieder zu.
Alles hätte ich für dich getan. Ohne dich kann ich nicht sein. Aber ich durfte nicht.
Meine Finger kribbeln. Ich weiß, was hiernach kommt. Die Magenkrämpfe und das Herzrasen, das Schwindelgefühl, die Dunkelheit vor den Augen, schließlich die Atemnot. Lange habe ich nicht mehr. Ich genieße den letzten Schluck, spüre die Tannine an meinen Geschmackspapillen, die feine Säure, das Barriquefass. Hast du wirklich gut ausgesucht. Dafür liebe ich dich.
Bis in den Tod.
Littlejamie
Foodie, Traveller, Blogger.
Marina
Hallo,
oh toll, über Umwege hier gelandet und direkt über die tolle Geschichte gestolpert, der ich in der Mission neulich auch schon lauschen durfte.
Die ist wundervoll!
Liebe Grüße
Marina
Jamie
Sehr anrührend, danke. :)