Der riesige Vogel liegt nackt und entfedert auf meinem Küchentisch, den Kopf schlapp neben die Flügel gesenkt, die Füße schwarz. Was mach ich nun mit ihm? Was hat der Mann auf dem Markt alles erzählt?
Ich habe Mühe, mich an jeden einzelnen Schritt zu erinnern, den er mir genannt hat. Wie war das nochmal? Erste halbe Stunde bei 100 Grad ohne alles, dann 30 bis 45 Minuten bei 130 Grad, dann auf 160 Grad hochgehen und am Ende 20 Minuten bei 200 Grad. Aber wie lange muss er denn nun bei 160 Grad? Und wann kommt das Gemüse rein?
Ich studiere eingehend das Internet und finde… alles, nur nicht das, was ich suche. “Poulet noir au four” ergibt nichts Brauchbares, und auch “Hähnchen im Ofen” oder “roasted chicken” entspricht nicht im Geringsten dem, was ich mir vorstelle. Die Vögel sind allesamt viel zu klein, die Rede ist immer von 1,5 bis 2 kg, aber meiner wiegt satte 2,8 Kilo, ich hab’s gewogen, meine Waage spinnt nicht. Und nein, ich will auch keine Cranberrysauce oder Pilzfüllung. Hmm… Irgendwann, die Uhr tickt, muss ich ja zur Tat schreiten, wie mach ich ihn nun?
Und dann finde ich eine amerikanische Seite mit Backangaben für Hähnchen und Truthahn und denke mir: was für einen Truthahn gut ist, wird für mein Riesenhuhn so schlecht nicht sein. Und entschließe mich, mal wieder ein bisschen zu improvisieren, das klappt doch sonst auch prima.
Allerdings muss ich ihn erstmal ausnehmen, denn sämtliche Innereien sind noch drin. Nicht im Plastikbeutel sondern so richtig noch dran, angewachsen an Ort und Stelle. Und das, muss ich zugeben, war mit ein Grund, warum ich ihn gekauft habe. Denn ich wollte das schon immer mal selbst machen. Kenn ich von meiner Oma, und die hat mir das nie beigebracht. Ich erinnere mich nur, dass wir manchmal ein Huhn in der Küche hatten, mit Schnur an einem Stuhlbein festgemacht, Zeitungspapier drunter – und dann gab’s am selben oder nächsten Abend Hühnersuppe und Pilaf*, und ich durfte die Hühnerfüße essen und die Eier, die sich noch im Huhnkörper befanden. Köstliche Erinnerungen.
Auch hier muss ich zuerst das Internet konsultieren (wo ist eigentlich mein rumänisches Kochbuch?), aber nachdem ich das mit der Milz begriffen habe, weiß ich, was zu tun ist: beherzt ins Tier hineingreifen und alles rausholen, was nicht allzu fest ist. Gesagt, getan. Ich komme mir vor wie damals mit dem Kalmar. Bis zum Ellbogen in so’m Tierkörper… ach, lassen wir das, das klingt schon wieder so Jules-Verne-esk. “Der Kampf mit dem Riesenkalmar”.
Heraus kommen Leber, Herz und Magen, zusammenhängend an einem großen Stück Fett. Ich stell das Hühnerklein erstmal beiseite, weil ich noch nicht weiß, was ich damit tun werde. Nicht wegschmeißen, that much is clear. (Später hab ich mir das alles einfach in Butter gebraten, aber nur die Leber war richtig lecker, der Rest ging so.)
Nun den Kopf. Der Hals ist irrsinnig lang, ich kann mich nicht erinnern, jemals so einen langen Hals an einem Huhn gesehen zu haben. Haben die immer so lange Hälse? Wie dem auch sei, den Hals brauch ich noch, zumindest die Haut drumrum, damit habe ich etwas ganz Besonderes vor. Um noch ehrlicher als vorhin zu sein, das war eigentlich wirklich der Grund, warum ich den Vogel gekauft habe: weil diese Halshaut da noch dran ist. Die kriegt man nämlich nie. Aufs Hühnerklein kann ich im Zweifel verzichten, aber ich will doch seit Jahren Heldzel** machen, und jetzt habe ich endlich die Gelegenheit dazu. Also Kopf sorgfältig abgeschnitten, Haut vom Hals getrennt, und damit sieht das Huhn fast genauso aus wie seine Vettern aus dem Supermarkt. Nur die schwarzen Füße trügen ein wenig, aber sie bleiben dran, auf die freue ich mich!
Und so hab ich dann weiter gemacht:
Huhn mit Gemüse aus dem Ofen
Ofen auf 100° vorheizen. Ausgenommenen und gewaschenen Vogel trockentupfen und in einem großen Bräter für eine halbe Stunde in den Backofen stellen.
Nach der ersten halben Stunde Hitze auf 130° hochdrehen. Huhn mit Olivenöl, Salz, Pfeffer und, wenn man mag, süßem Paprikapulver einreiben, eine große Birne in den Vogel einfüllen und wieder für 45 Minuten in den Ofen stecken.
Nach 45 Minuten Hitze auf 160° hochdrehen. Eine Tasse Wasser in den Bräter geben. Huhn zwischendurch immer wieder mal mit dem entstandenen Saft begießen.
Derweil das Gemüse vorbereiten:
Als Gemüse eignen sich: Kürbis, Süßkartoffeln, Steckrüben, Kartoffeln, Möhren, Pastinaken, Birnen etc. Gemüse putzen und schälen und in handliche, etwa gleich große Stücke schneiden, Zwiebeln (ich hatte rote und sogenannte “süße” Zwiebeln) schälen und vierteln, Knoblauchzehen ungeschält lassen.
Etwa 45 Minuten bis eine Stunde vor Ende der Garzeit des Huhns das Gemüse entweder in einen eigenen Bräter geben oder um das Huhn herum drapieren, mit Olivenöl begießen und mit Salz, Pfeffer, Rosmarin würzen, mischen, damit jedes Stück von der Würzmischung umgeben ist, und dann ab in den Ofen. Man kann auch Maronen nehmen, die würde ich dann aber später hinzufügen, weil sie soviel kleiner sind und schnell schwarz werden könnten.
Wenn das Huhn vorzeitig an der Oberseite schwarz zu werden droht, kann man es mit einem Stück Alufolie abdecken, während das Gemüse weiter gart.
Vor Ende der Garzeit das Huhn nicht mehr mit dem Saft im Bräter begießen, damit die Haut knusprig wird. Das Gemüse kann man im Bräter gern ein paarmal wenden, es ist schön, wenn es die Aromen des Bratensaftes abbekommt.
Wenn das Huhn gar ist, aus dem Ofen holen und die Knoblauchzehen sanft aus ihren Schalen drücken. Nun kann man diese und ein paar von den Gemüsestücken mit Hilfe einer Gabel oder eines Pfannenwenders pürieren. Damit erhält man eine sämige Sauce, die in Kombination mit dem Bratensaft herrlich schmeckt. Muss man aber nicht. Man kann auch ganz einfach den Bratensaft über das Gemüse und das Fleisch auf dem Teller geben. Klassisch sozusagen. Schmeckt auch vorzüglich.
Die Backzeiten für Huhn und Truthahn sind übrigens hier:
http://www.helpwithcooking.com/cooking-poultry/roast-chicken.html
http://www.helpwithcooking.com/cooking-poultry/roast-turkey.html
Ach ja, noch was: die Hühnerfüße. Ja, ich habe sie gegessen, zumindest einen davon, der andere ist für morgen. Man kann die Unterseite sehr gut essen, und ich hab ja keine Konsistenzprobleme, wie der Mann sagen würde.
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* Pilaf ist die östliche Variante des Risottos: dazu wird Hühnerfleisch in einem Topf mit einer Zwiebel und etwas Salz bei kleiner Flamme gekocht. Es darf nicht allzu durch sein. Butter in einem Topf anschwitzen (hier kann man auch etwas Fett vom Huhn nehmen, wenn man ein ganzes Huhn hatte), den Reis darin unter Rühren leicht anrösten. Drei Tassen von dem Wasser hinzufügen, in dem das Fleisch gekocht ist (oder Suppe), das Hühnerfleisch auf dem Reis platzieren, zudecken und bei niedriger Temperatur (100°-120°) für 20-25 Minuten im Ofen garen. Nicht umrühren. Vor dem Servieren kleine Stückchen Butter auf dem Pilaf verteilen. Mein Lieblingsgericht als ich klein war. Mach ich viel zu selten.
** Heldzel ist eine Spezialität aus der jüdischen Küche. Das Wort bedeutet “Hals” und meint gestopften Hals. Dazu zieht man die Haut vom Hals eines Vogels, den man eh gerade zubereitet, ab, reinigt sie gut, näht sie an einem Ende wie einen Sack zu und füllt sie mit einer Mischung aus 60 Gramm Mehl, 60 Gramm Matzemehl, einer Prise Pfeffer, 30 Gramm kleingeschnittenem reinem Hühnerfett, 1 TL Salz, 1 mittleren gehackten Zwiebel. Ich hab noch ein Ei hinzugefügt, weil meine Mischung zu trocken und bröckelig war. Am Ende den Hals zunähen und in Wasser oder in Brühe/Suppe mitkochen. Man kann den Heldzel auch noch im Ofen bräunen, aber so kenn ich ihn nicht. Wenn er fertig ist, wird er in Scheiben geschnitten und wie Knödel gegessen.
Faszinierend war, dass er genauso geschmeckt hat wie bei meiner Oma. Ich fühlte mich augenblicklich wie Auguste Gusteau beim Probieren der Ratatouille. Happiness, thy name be childhood…
Ich fürchte nur, meine Mischung war ein wenig zu dicht, denn er ist innen drin noch ein wenig trocken geworden und nicht so schön smooth wie meine Oma ihn immer gemacht hat. Oder sie hat vielleicht auch mehr Fett genutzt, wer weiß das schon? Aber es war ja auch erst mein erster. Und die Naht ist an einer Stelle aufgegangen, so dass der halbe Heldzel in der Suppe schwamm, aber da war er zum Glück schon fast gar und konnte sich nicht mehr in seine Bestandteile auflösen.
Alles in allem ein – zumindest kulinarisch – erfolgreicher Tag, wenn er auch verbunden war mit stundenlangem in der Küche stehen (ich hab jetzt Rücken). Und dann hat auch noch unser Kühlschrank seinen Geist aufgegeben, das heißt, wir müssen uns morgen einen neuen kaufen. Das ist weniger schön, vor allem weil ich morgen alles an Fleisch, was sich im Tiefkühlfach befand, zubereiten muss, und das war eine Menge. Mal sehen, ob ich’s ein wenig verteilen kann…
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